Tommy Jaud | Vollidiot

Eigentlich wollte ich vor dem Einschlafen nur etwas entspannendes lesen und dieser Zufallskauf der schon seit Wochen bei mir rumlag,
erschien mir genau richtig dafür. Dass ich dann gar nicht mehr zum Schlafen gekommen bin, besagt wohl,
dass das Buch eine ausreichende Portion "Hallo-Wach" enthält. Wie finde ich es?
Irgendetwas stört mich, aber ich weiss nicht, was. Irgendetwas ist kongenial, aber ich weiss nicht was.
Zweimal musste ich in meine Decke beissen, um nicht laut loszulachen. Die Formulierungen sind witzig,
die einzelnen plots sehr gut zueinander geführt, man wird bestens unterhalten.
Ob der grosse Hype allerdings gerechtfertigt ist, sei dahingestellt. Aber das ist wohl heute so.
Kaum schreibt einer ein nicht gänzlich uncharmantes liebenswertes Buch mit einigen Hochlichtstellen der Popliteratur
und hat er dann noch entfernt mit den Medien zu tun, wird es wohl gehypet.

Die Story:
Simon Peters, Single, T-Punkt Verkäufer mit eigener Putzfrau, Plasmaflachbildschirmfernseher und Potenzproblemen ist ein Vollidiot,
sprich der Protagonist des Romans. Wir begleiten ihn von Oktober bis Dezember. Zuerst sucht er "einfach" nur eine Frau zum "Ficken",
was für ihn ein echtes Problem darstellt, da er sich indertat wie ein Vollidiot benimmt. Man schlägt sich das Buch vor den Kopf
und sagt: "Gott, ist der bescheuert, das wird nie was. Will ich das weiterlesen?"

Aber da ist man schon mittendrin im chaotischen Leben des Simon Peters und wie man sein eigenes Leben,
wenn es einem nicht gefällt, nicht zur Seite legen kann,tut man es auch nicht mit diesem Buch.
Simon verliebt sich und setzt alles dran, diese Traumfrau zu erobern. Bevor es allerdings zu diesem Date kommt,
währenddessen und danach - Simon ist beschäftigt aus den Schwierigkeiten, in die er sich unentwegt selbst manövriert,
wieder in ruhigere Fahrwasser zu gelangen. Ernsthaft? Nein, richtig ernst nimmt er das alles nicht.

Das ganze kulminiert in einem Höhepunkt, der zugleich im Leben des Simon Peters einen Tiefpunkt darstellen dürfte.
Er macht Bekanntschaft mit einem Gerichtsvollzieher, sieht einer Anklage (eher gelassen) entgegen,
verliert seinen Job und so ganz nebenbei hat sich die tolle Traumfrau auch eher als "aussen hui-innen pfui" erwiesen.
Über all dies vergisst er sogar seinen eigenen 30 (!!) Geburtstag. Zum Glück hat er Freunde,
die ihm sein Vollidiotentum aufzeigen und nachsehen, immer wieder.

Da es sich um einen modernen Popliteratur-Gegenwartsroman handelt, hält sich der Autor strikt an das
ungeschriebene "Happy-End-Verbot", stilistisch aber durchaus nicht ungeschickt gelöst.
Ein wunderbares Buch gegen die dieser Tage um sich greifende Depression De Luxe auch Winterdepression genannt.
Wer wird dieses Buch lieben? Ikea-Hasser, Kölner und Leute, die auf Musik vom flotten Totte stehen,
die Generation Smart und alle, die solche Probleme wie Simon Peters derzeit nicht haben.
   
                   
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